Reisebericht Bordeaux en primeur 2023

05.05.2023

Messen > Bordeaux en primeur

Unser Messejahr neigt sich dem Ende entgegen, die letzte große Reise führt uns in das Wein-Mekka überhaupt, nach Bordeaux:

4. Etappe: Bordeaux en primeur für den Jahrgang 2022 (23.-27.04.)

Wie jedes Jahr im April (außer während der Covid-Zeit natürlich) laden die Châteaux und die Union des Grands Crus de Bordeaux (kurz nur UGCB genannt) in die Region, um der Weinwelt den neuen Jahrgang zu präsentieren. Und wie jedes Jahr waren wir vor Ort anwesend, um uns selbst ein Bild von den einzelnen Weinen zu machen.

Diese „Messe“ ist dezentral organisiert und funktioniert nur über Termine. Das heißt, im Vorfeld müssen die einzelnen Châteaux angeschrieben werden, um einen sogenannten Tasting-Slot (30 Minuten auf dem Château) zu erfragen. Wird man als ausreichend würdig empfunden, bekommt man den auch. Auf ein paar Châteaux werden auch „alle“ Weine der einzelnen Appellationen präsentiert, die sogenannten UGC-Veranstaltungen. Aber auch diese darf man nur besuchen, wenn man sich im Vorfeld angemeldet und einer Prüfung standgehalten hat.
Im Endeffekt bedarf es einer kleinen logistischen Herausforderung und eines Autos, um das „Château-Hopping“ auch bewältigen zu können.

Der Jahrgang
Doch erstmal ein kleiner Überblick über den klimatischen Verlauf des Jahres 2022: ein feuchter, frostfreier Frühling ging über in einen sehr warmen, sehr trockenen Sommer. Zum Teil litten die Reben unter Trockenstress, aber nie so, dass es für die Ernte gefährlich werden konnte. Das Ergebnis waren kleine, dickschalige Beeren, die Intensität und Konzentration mitbrachten - aber auch tolle Säurewerte und ein hochklassiges Tannin. Das verspricht für die Weine zum einen satte Frucht, zum anderen auch Frische und Komplexität in den Aromen.
Überall vernahm man das große Erstaunen über diese fast schon idealen Bedingungen zum Keltern. Ob und wie diese (fast) perfekten Trauben in perfekten Wein übersetzt wurden: das wollen wir hier selbst erfahren.

Die Arbeit beginnt
Los geht es am Montagvormittag mit einem Besuch auf Château Haut-Bailly. Traditionell starten wir hier in Léognan auf diesem Cru Classé de Graves, da wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Weine dieses Château eine kleine Zusammenfassung über das klimatische Jahr geben: die Macher hier verstehen es besonders gut, die Gegebenheiten des Jahrgangs in den Weinen widerzuspiegeln. Mal abgesehen davon, dass Haut-Bailly selbst in „schlechten“ Jahrgängen meistens eine gute Figur beim Verkosten macht. Das der 2022er ein schlechter Jahrgang wird, kann schon beim ersten Schnuppern und Nippen ausgeschlossen werden: Die Konzentration und Dichte ist enorm, die jetzt schon vorhandene Harmonie beeindruckt gewaltig. Die Weine haben eine intensive Frucht ohne große Extraktsüße.
Und wie schon antizipiert, wird uns diese konzentrierte Dichte in den kommenden Tagen überall begleiten.

Der Nachmittag wird in Bordeaux selber verbracht, genauer: im Hangar 14, direkt an der Gironde. Dort gibt es das klassische Messeerlebnis: die Mitglieder der Union geben hier die Möglichkeit sich während eines 2h-Slots einen allgemeinen Überblick zu verschaffen. Die Halle ist voll von Ständen und Besuchern.
So verkosten wir uns durch einzelne Vertreter aller Appellationen. Die Weine bestätigen den Eindruck, den wir schon auf Haut-Bailly bekommen haben: ein intensiver, dichter Jahrgang ohne übermäßigen Extrakt, die Frucht ist auf natürliche Art und Weise konzentriert. Jetzt schon sehr harmonisch mit qualitativ hochwertigem Tannin. Eine weitere, kleinere Tendenz zeichnet sich hier auch schon ab: es ist eher ein Jahrgang des linken Ufers und Weißweine und Sauternes stechen nicht hervor.

Mit diesen ersten Eindrücken machen wir Feierabend, gehen etwas Essen und bereiten uns auf den nächsten Tag vor: wir haben Termine im Margaux.

Der zweite Tag
Unsere erste Station ist Château Margaux, gleich danach geht es zu Château Palmer. Die weiteren Stunden werden auf den UGC-Veranstaltungen der Appellation Margaux auf Château Lascombes sowie Graves/Sauternes und Pessac-Leognan auf Château Fieuzal verbracht.

Die ersten beiden Stationen haben den Wow-Effekt: sowohl bei Margaux als auch bei Palmer können Grand Vin und Zweitwein mit einer Finesse und Eleganz bei gleichzeitiger Dichte und Expressivität von Frucht überzeugen.
Dieser Eindruck der ausgewogenen Güte des Jahrgangs festigt sich dann auf Château Lascombes: fast alle Vertreter der Appellation schaffen es, die herrliche Frucht, das hochwertige Tannin und die intensive Säure gut miteinander zu kombinieren und auszutarieren.

Auf Château Fieuzal sieht die Welt nicht ganz so homogen aus, wobei so ziemlich allen Weinen aus dem Pessac-Leognan und Graves eine fast schwebende Eleganz zu eigen ist. Insgesamt wirken sie leichter als die Weine aus dem Margaux, wobei auch hier die Frucht sehr konzentriert und dicht bleibt.
Eher schlicht sieht es hier in der Welt der Weißweine aus: ihnen hat das heiße, trockene Jahr keinen Gefallen getan. Sie sind nicht plump, aber es fehlt an Spiel im Mittelbau. Bei den Sauternes ein ähnliches Bild: eher auf Kraft und Fülle ausgelegt, auch wenn die Säure hier und da ein tolles Reifepotenzial verspricht.

Der dritte Tag
Der Mittwoch steht im Zeichen des rechten Ufers: los geht es mit den Weinen des Negociants Moueix, dann geht es weiter zur UGC Pomerol auf Château Beauregard, anschließend die UGC St.-Émilion auf Château Valandraud. Ausklingen lassen wir den Tag auf Château Cheval Blanc, Vieux Château Certan und Tertre Rotebœuf.

Die Vertreter aus Pomerol hatten offensichtlich größere Schwierigkeiten die drei Elemente Frucht, Tannin und Säure zu verbinden, auch wenn das allgemeine Niveau ebenfalls sehr hoch ist. Hier und da wirken die Weine etwas kraftvoller, direkter, nicht ganz so tänzelnd und schwebend. Im Endeffekt ist das aber Jammern auf hohem Niveau. Gerade die höherwertigen Châteaus hatten keinerlei Probleme damit, die Herausforderung der Harmonisierung zu bewältigen.

Die Rotweine aus St.-Émilion dagegen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dieses Zusammenspiel im Großen und Ganzen nicht gemeistert zu haben. Es sind großartige Weine, aber es fehlt an Spiel und Leichtigkeit. Hier wird sich auf Dauer eine volle, kräftige Frucht durchsetzen: ein Glas lang kann das Spaß bereiten, aber danach reicht es auch. Die Motivation Nachzuschenken bleibt aus.

Die nächste Station, Cheval Blanc, lässt uns auch ein wenig ratlos zurück: ohne Zweifel einer der besten Weine aus dem Bordeaux, auch in diesem Jahrgang. James Suckling hat ihm schon 100 Punkte gegeben. Aber wir können dieses Urteil nicht teilen. Auch wenn der Grand Vin eine beeindruckende Ausgewogenheit präsentiert und mit einer vollen Frucht punkten kann, fehlt uns am Ende die Komplexität, die Lebendigkeit. Natürlich hat der Wein ein ewiges Reifepotenzial, es kann gut sein, dass sich das alles noch entwickelt.

Vieux Château Certan kann dafür auf voller Linie überzeugen. Der Wein ist wie sein Schöpfer, Alexandre Thienpont: in sich ruhend und von vornehmer Klasse. In diesem Grand Vin spiegelt sich der außergewöhnliche Jahrgang mit all seinen Vorteilen wider, alle Teile greifen problemlos ineinander. Es ist, als ob das Puzzle sich selbst zusammensetzt und ein grandioses Bild ergibt.

Der Abschluss auf Château Tertre Rotebœuf beeindruckt ebenfalls: unserer Meinung der wahrscheinlich beste Jahrgang an Weinen aus diesem Haus.

Der vierte Tag
Tags darauf geht es wieder ans linke Ufer: Die UGC-Veranstaltungen der Appellationen St. Julien und Pauillac sowie St. Estéphe stehen an. Die eine auf Château Beychevelle, die anderen beiden auf Château Lynch-Bages.

Und was soll man sagen? Die Vertreter aus St.-Julien bringen alle – neben der schon obligatorischen dichten, satten Frucht – eine schwebende, fast schon fliegende Leichtigkeit mit sich, die immer wieder schnuppern und nippen lässt. Hier werden wohl alle Weine eine grandiose Entwicklung hinlegen und dann auch sehr viel Spaß beim Trinken machen.

Die Weine aus dem Pauillac bekommen neben der dichten Frucht auch ein wenig Extrakt mit auf den Weg, wirken so alles in allem etwas mächtiger, maskuliner als in den anderen Appellationen. Sie werden etwas weniger Spiel entwickeln. Aber auch hier ist die insgesamt hohe Qualität zu unterstreichen. Die Rotweine aus St. Estéphe überzeugen freilich ebenso durch Qualität, werden aber – dank ihres kalkigen Terroirs – eine kleine Ewigkeit reifen müssen, um diese Kombination aus Säure, Tannin und kalkigem Abgang auszutarieren.

Der Nachmittag hat es nochmal in sich: wir springen in kurzer Zeit von einem hochklassigen Château zum anderen. Château Mouton-Rothschild, Château Calon Ségur, Château Montrose, Château Cos d‘Estournel und Château Lafite-Rothschild fordern nochmal volle Konzentration.

Bei Mouton-Rothschild verhält es sich ähnlich wie bei Cheval Blanc: man hat schon im Vorfeld einen hohen Anspruch, erst recht wenn der Jahrgang so gelobt wird. Und ganz erfüllen kann er diesen Anspruch leider nicht. Ein grandioser Wein, bei dem man das Gefühl hat, dass er die Möglichkeiten des Jahrgangs nicht völlig genutzt hat. Dennoch kann man von einem fantastischen Reifepotenzial ausgehen - und vielleicht wird der Wein dann auch mehr Spiel, mehr Komplexität entwickeln.

Calon Ségur fällt gegenüber Montrose und Cos d’Estournel ein wenig ab. Aber nur, weil die letzten beiden so fantastisch sind wie lange nicht mehr. Alle drei – ich kann mich nur wiederholen – leben von diesem außergewöhnlichen Spiel aus intensiver Frucht, hochklassigem Tannin und frischer Säure. Es gibt den Weinen Dichte und Komplexität, lässt sie aber gleichzeitig auf der Zunge tanzen.

Der Abschluss bildet dann Lafite Rothschild. Hier werden auch die Weine von Château Duhart Milon verkostet. Der Grand Vin bietet – zwar erst beim dritten, vierten Nippen – ein großartiges Bouquet und eine kleine Aromenexplosion auf der Zunge. Der Grand Vin von Lafite deutet seine Klasse an, wird sich aber erstmal 20 Jahre in Schweigen hüllen.

Dieser würdige Abschluss beendet eine kurzweilige, alles in Allem sehr charmante En Primeur, die lang nicht so anstrengend war wie in früheren Jahren. Die Konzentration musste natürlich hochgehalten werden, die Intensität war groß, dennoch machte es im Großen und Ganzen viel Spaß diesen Jahrgang zu verkosten.

Ein kleines Fazit und eine Prognose was den Jahrgang angeht:
definitiv ein Jahrgang des linken Ufers, wobei die Weine aus dem Margaux und der Appellation St. Julien hervorstechen. Allen Weinen gemein ist die Hochwertigkeit der einzelnen Elemente. Vor allem die natürliche Konzentration der Frucht ist toll, es musste kaum extrahiert werden, um Dichte und Fülle zu erzeugen. Erstaunlich auch die gute Säure bei einem doch so warmen Jahr. Und dann noch das hochwertige Tannin, das gerade bei den großen Châteaux dafür sorgt, dass der Frucht und Frische eine tolle Bühne geboten wird. Bei aller Klasse und vielversprechenden Harmonie bedeutet das aber auch, dass den Weinen irgendwo die kleinen Spitzen fehlen: alles ist so rund und harmonisch, kaum eine Ecke oder Kante ist spürbar. Das könnte langweilig auf extrem hohem Niveau werden.
In Bezug auf das Klima bleibt es abzuwarten, ob die ungewöhnlichen Bedingungen des Jahres 2022 eine Ausnahme bleiben, oder ob man hier schon am Beginn einer Entwicklung steht.

Am Ende dieses Berichts noch eine kleine Zusammenfassung der subjektiven kulturellen Beobachtungen zur En Primeur:

Es war schon mal wesentlich mehr los. Gerade die Besucher aus Ostasien waren früher in größerer Anzahl vertreten. Die Domäne der alten weißen Männer bricht allmählich auf, immer mehr jüngere Menschen gibt es zu sehen, eine Geschlechter-Durchmischung deutet sich mehr und mehr an. Gerade der ostasiatische Anteil der Besucher wird quasi schon von Frauen bestimmt.

Die allgemeine Freundlichkeit hat zugenommen, auf den einzelnen Châteaus geht es nicht mehr ganz so überheblich zu. Das große Trara, der große Zirkus hat etwas nachgelassen, man scheint ein wenig geerdeter zu sein.
Auch hier gilt es abzuwarten, ob das noch die Nachwirkungen von zwei Jahren Lockdown sind, oder ob das etwas Demut gegenüber den niedrigeren Absatzzahlen der letzten paar Jahre ist.

Jeder war überrascht von der enormen Qualität der Trauben: ein heißes Jahr, dass dennoch viel Säure und Tannin mitbringt, das gab es so noch nie. Wenn Vergleiche gezogen wurden, dann wurde immer eine „Mischung“ von verschiedenen Jahrgängen herangezogen, z.B.: die Konzentration von 2010, aber die Eleganz und Struktur von 2016. So oder so ähnlich wurde sich überall beholfen.

Es ist – wie immer – die anstrengendste und anspruchsvollste Veranstaltung im Jahr. Aber auch die Messe, die einem Wein-Nerd wie mir die größte Horizont-Erweiterung liefert. Dazu kommt, dass der Jahrgang einfach Spaß macht! Ich freue mich schon auf das nächste Jahr, auch wenn noch niemand weiß, ob das Jahr 2023 etwas kann oder nicht.

Allgemein bin ich froh, dass die Messezeit 2023 soweit vorbei ist: vier Messen in drei Ländern, mehr als 1000 verkostete Weine, eine Überdosis an Informationen und sinnlichen Eindrücken. Es ist Zeit für eine kleine Pause ;).

Lesen Sie auch unseren Artikel über die Bordeaux-Reise in 2022: Reisebericht Bordeaux 2022

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